Ende Juli fiel für die 3. Liga der Startschuss zur neuen Saison. Gegen die Würzburg Kickers holten die Löwen ihre ersten Punkte. Auch den Gegnern aus Wiesbaden waren die 60er nicht unterlegen. Ein möglicher Grund für die solide Performance: Die Fans des Vereins dürfen nach und nach wieder live ins Stadion. Wir trafen Trainer Michael Köllner zum Gespräch und sprachen über eben jene Fantreue, Transfers und soziales Engagement der Münchner Löwen.
Redaktion: Herr Köllner, wie viel Gewinnanteil zum Auftaktspiel gegen Würzburg ist den Fans im Stadion zuzuschreiben?
Michael Köllner: Ein großer Anteil. Wer Fußball kennt, wer Fußball erlebt hat oder selbst spielt, der weiß, dass die Fans eine große Bedeutung haben. Gegen Würzburg konnten wir auf unseren zwölften Mann, die Fans, durchaus zurückgreifen.
Redaktion: Wird das Spiel demnach automatisch besser, je mehr Fans im Stadion sind?
Michael Köllner: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob dieser Algorithmus so stimmt. Denn: Je mehr Fans, desto größer ist auch der Druck. Das unterscheidet sich auch von Spiel zu Spiel. Aber nach der langen Leidenszeit ohne Fans sind wir natürlich froh, dass sie zurück sind. Derzeit noch mit Teilzulassung hoffen wir natürlich, dass wir bald wieder vor einem vollbesetzten Grünwalder Stadion spielen dürfen.
Redaktion: Der TSV 1860 München hat in der Liga die wenigsten Transfers vorgenommen. Bis Ende August wäre das Fenster noch offen. Inwiefern sind weitere Transfers nach den bisherigen Spielen eine Option?
Michael Köllner: Keine Option. Transfers betreffen das große Thema Kaderplanung. Diese war so, dass wir die wichtigsten Stützen aus der vergangenen Saison behalten wollten. Das war wichtig. Wir haben den Kader nur punktuell mit drei externen Neuzugängen und einem Spieler aus unserer eigenen Jugend ergänzt.
Es ist wichtig, keinen Aktionismus zu betreiben, sondern eine Mannschaft kontinuierlich wachsen und sich entwickeln zu lassen. Hier wächst etwas zusammen, das wollten wir auch nicht gefährden und wir schauen, dass es in den nächsten Wochen und Monaten so weiterwächst.
Der einzige „Transferpool“, wenn man das so nennen kann, ist unsere Nachwuchsabteilung. Die jungen bayerischen Löwen bilden den Pool, aus dem wir schöpfen werden. Denn natürlich ist es sinnvoll – im Fußball wie auch in jedem Unternehmen – eigene Nachwuchstalente zu fördern und im Idealfall auf wichtige Positionen in der Firma oder in unserem Fall der Profimannschaft zu setzen.
Redaktion: Bedeuten weniger Transfers gleichzeitig mehr Geduld mit einer bestehenden Mannschaft? Kann ein geschlossenes Team mit weniger Wechseln schneller auf ein nächsthöheres Niveau trainiert werden?
Michael Köllner: Das könnte man meinen, aber das glaube ich eher nicht. Ich glaube eher, dass ein Vertrauensvorschuss ist. Es zahlt sich immer aus, wenn man jemandem vertraut. Spieler, die schon länger bei uns sind, haben zudem weniger Stress, weil sie alle Abläufe bereits kennen. Sie können auf ein gewisses Fundament aufbauen. Daher arbeite ich gerne mit Spielern, die ich kenne.
Beim bestehenden Kader hatte ich die Zeit, jeden einzelnen Spieler mindestens über die Dauer eines Jahres kennenzulernen, um am Ende zu entscheiden, wer mit in die neue Saison geht. Ich glaube, nur so ist eine Leistungssteigerung möglich. Am Ende zählt immer eins: Du musst besser werden. Entsprechend muss auch jeder Transfer unter dieser Maxime stehen. Egal, ob wir externe Spieler verpflichten oder sie aus der Jugend zu uns aufrücken.
Redaktion: Inwieweit kommt geringer Wechsel der Fanbindung zu Gute? Stichwort: vertraute Gesichter.
Michael Köllner: Ein Traditionsverein lebt von seinen Fans und von einer großen Vergangenheit. Aber wir dürfen uns nicht nur in der Vergangenheit bewegen, sondern müssen stattdessen in der Gegenwart sein und vor allem in Zukunft schauen. In die Zukunft zu schauen bedeutet, dass wir neue Idole, neue Gesichter brauchen. Das schaffst Du sicherlich mal mit dem einen oder anderen Transfer, wenn Du einen populären Spieler holst. Aber Du kannst auch eigene Gesichter, eigene Idole entwickeln. Ein Beispiel ist Marco Hiller, unser Torwart und Eigengewächs des Vereins. Er muss auch ein Stück weit ein Gesicht des Vereins sein. Und ich versuche alles dafür zu tun, dass wir eigene Idole, eigene Gesichter entwickeln, weil das für Identifikation und Identität ein ganz, ganz wichtiger Faktor ist.
Redaktion: Das Stichwort Traditionsverein, welches sie gerade angesprochen haben, würde ich gerne aufgreifen. Was ist für einen Traditionsverein wie den TSV 1860 auf lange Sicht wichtiger? Die Fans mit „gutem Fußball“ zu unterhalten oder der Aufstieg in die höhere Liga?
Michael Köllner: Ich hoffe, das eine schließt das andere nicht aus (lacht). In erster Linie sind wir bestrebt, guten Fußball zu bieten. Aber natürlich auch erfolgreichen Fußball. Ich denke, wenn man beides miteinander verbindet, kommt irgendwann einmal der Aufstieg. Mir ist bewusst, dass das Wort ‚Aufstieg’ in den letzten Monaten rund um den TSV 1860 München ein großes Thema ist. Hiergegen habe ich nichts, aber ich erinnere mich, dass ganz andere Themen im Vordergrund standen, als ich hier übernommen habe. Daher tun wir gut daran, nicht nur in die Zukunft zu schauen, sondern auch die Vergangenheit zu berücksichtigen. Wichtig ist, Kontinuität, Seriosität, Professionalität und Ruhe in den Verein zu bringen. Koppelt man diese vier Faktoren mit viel Herzensliebe für den Verein, ist Erfolg das logische Resultat.
Redaktion: In der vorletzten Saison blieben coronabedingt virtuelle Trainingseinheiten nicht aus. Wie stehen Sie anhand bisheriger Erfahrungswerte dazu? Wäre ein erneutes Trainingsverbot im Team, vor Ort, ein schwerer Einschnitt in die Trainingsroutine?
Michael Köllner: Als positiver, optimistischer Mensch hoffe ich natürlich, dass wir keinen erneuten Lockdown erleben müssen. Es wird sicher noch ein langer Weg sein, bis die Pandemie komplett verschwindet. Mit den derzeitigen Maßnahmen denke ich aber, dass die Normalität ein Stück weit zurückkehrt und sich jeder Mensch seiner Verantwortung bewusst ist.
Sollte jedoch der Extremfall eintreten und noch ein Lockdown kommen, dass wir einen anderen Erfahrungswert als noch vor dem ersten Lockdown, als zunächst gar nichts mehr möglich war und wir virtuell mit unseren Spielern zu Hause trainieren mussten. Aber selbstverständlich hoffen wir, nicht mehr in die Situation zu kommen.
Redaktion: Für die Opfer der Flutkatastrophe in Schönau am Königssee ist ein Benefizspiel geplant. Wie kam es zur Entscheidung des TSV 1860 München auf diese Weise zu helfen?
Michael Köllner: Wenn, wie bei diesen Menschen, das gesamte Hab und Gut weggespült wird, ist man in erster Linie sprach- und fassungslos. Dinge, wie ein Dach über dem Kopf weiß auch ich zu wenig zu schätzen. Die Not dieser Menschen, von heute auf morgen nichts mehr zu haben, ist unbeschreiblich.
Wir haben uns daher gefragt, was wir tun können. Spenden, die dort ankommen, wo sie gebraucht werden, finde ich großartig. Auch Taten sind wichtig. Allerdings können wir nicht mit dem Trainings- und Spielbetrieb aussetzen und stattdessen die Orte freischaufeln.
Das was wir am besten können, ist Fußballspielen. Also versuchen wir, die Menschen damit zu unterstützen.
Dadurch wollen wir Betroffenen auf der einen Seite etwas Ablenkung und Licht zurück in den Alltag bringen. Auf der anderen Seite möchten wir Aufmerksamkeit schaffen und die Spendenbereitschaft erhöhen. Am Ende soll unsere Anwesenheit etwas Positives bewirken und wir hoffen, dass auch unsere Fans nach Möglichkeit unterstützen und versuchen, Linderung für die Betroffenen zu erzielen.
Zum Nachschauen gibt’s hier das Video-Interview mit Trainer Michael Köllner:
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