Teil 2 – Martin Gräfer und Prof. Dr. Hartmut Nickel-Waninger: Ist die private Altersversorgung wirklich am Ende?

(Zuerst erschienen im Versicherungsmonitor)

In Teil eins haben wir uns damit auseinandergesetzt, dass dringend eine Brancheninitiative notwendig ist, die klärt, was wir unter einer Beratung und Vermittlung von Versicherungen unter „Berücksichtigung des bestmöglichen Interesses“ des Kunden verstehen und wie wir einem entsprechenden Standard zur Durchsetzung verhelfen wollen.
Nur wenn es gelingt, der Qualität der Beratung in den Augen der Öffentlichkeit einen entsprechenden Stellenwert zu geben, wird es gelingen, die ständigen Diskussionen über die Vergütungshöhe zu beenden. Wir haben weiterhin gefordert, die verschiedenen Vergütungsformen (Abschlussprovisionen, laufende Vergütungen, Honorare) für alle Vertriebswege freizugeben, selbstverständlich bei gleichzeitiger Beachtung des Transparenzgebotes gegenüber den Kunden!

Ist die private Altersversorgung wirklich am Ende?

Mindestens genauso kritisch ist zu beleuchten, mit welcher Vehemenz die Branche die Bedeutung der privaten Altersversorgung in der Öffentlichkeit vertritt – oder nicht vertritt. Immer häufiger – nicht nur im Wahlprogramm der Grünen – ist zu hören, dass die private Altersversorgung ihren Nutzen verloren habe. Die Lebensversicherer hätten selbst bewiesen, dass ihr Geschäftsmodell heute nicht mehr funktioniert, nicht zuletzt deshalb, weil die Kosten – auch hier steht häufig der Vertrieb im Vordergrund – viel zu hoch seien. Die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) sei viel attraktiver und böte höhere Rendite und mehr Sicherheit! Hiermit setzt sich Teil zwei auseinander.

Es geht zunächst einmal um einen Systemvergleich! Wenn behauptet wird, die Rückstellungen der Lebensversicherer reichten in Zukunft nicht mehr aus, deren künftige Verpflichtungen zu erfüllen, wird oft eines vergessen:

Die gesetzliche Rentenversicherung verfügt über gar keine entsprechenden Rückstellungen! Einen Monat ohne Beitragseingang und das System steht still! Die Sicherheit der GRV beruht auf einer Zwangsverpflichtung zukünftiger Generationen.

Ob diese vor dem Hintergrund immer weiter steigender Aufwendungen für die gesetzliche Krankenversicherung, Pflegeversicherung, nicht ausfinanzierten Beamtenpensionen oder explodierender Staatsverschuldung weiterhin bereit sein werden, auf immer mehr Netto vom Brutto zu verzichten, ist fraglich.

Bezüglich der hohen Kosten der privaten Altersversorgung ist anzumerken, dass selbst dann, wenn die Lebensversicherer überhaupt keine Kosten mehr hätten, sie nicht zu den über Jahrzehnte versprochenen und gehaltenen Garantien und Beteiligung an den Überschüssen zurückkehren könnten. Dies verhindert das derzeitige Zinsniveau, welches die Versicherer nun wirklich nicht zu verantworten haben! Sie konnten auch keine negativen Zinsen für langlaufende Staatsanleihen voraussehen, weil es diese in einer nicht staatlich regulierten Welt nicht gibt! Keiner kann staatlich-gelenkte Preise voraussehen! Opfer sind dabei im Übrigen weniger die Versicherer, Banken und Bausparkassen selbst, sondern vor allem deren Kunden!

Wer kämpft eigentlich für sie? Wann fängt die Branche damit an?

Zum Thema Kosten im Systemvergleich zwischen gesetzlicher und privater Altersversorgung ist anzumerken: Natürlich sind die Vertriebskosten für Produkte, zu deren Kauf der Kunde gezwungen wird, niedriger als von Produkten, bei denen der Kunde erst noch überzeugt werden muss. Da geht es dem Staat nicht anders als den Versicherern.

Schauen wir uns doch die vielen staatlichen Initiativen an, mit denen auf freiwilliger Basis versucht wurde, die Menschen zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Viele werden sich noch gut daran erinnern können, mit welchem Plakatierungs- und Werbeaufwand man versucht hat, die Autofahrer dazu zu bewegen, sich anzuschnallen. Oder was es kostet, die Menschen zu einer Organspende zu bewegen? Hochbezahlte Ärzte reden stundenlang auf uns Bürger ein, endlich die überall angebotenen Organspendeausweise auszufüllen! Und dies alles, obwohl eine breite Mehrheit der Bevölkerung, von der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen voll überzeugt ist.

Beim Abschluss einer Versicherung, das ist wissenschaftlich untersucht, ist es nicht anders! Der Beratungs- und Überzeugungsaufwand ist immens. Wenn wir einen Nutzen in dem System sehen sind entsprechende Vergütungen nicht nur berechtigt, sondern notwendig! Die Qualität der Beratung muss selbstverständlich überzeugen! Womit wir wieder bei Teil eins wären.

Sind diese Kosten ein Grund für Zwangs- und Pflichtversicherungen? Nein, auf keinen Fall! Einheitslösungen führen immer zu falschen Lösungen. Ein Beispiel: Warum wird jemand in die gesetzliche Rentenversicherung gezwungen, der für sich ausreichend bereits selbst vorgesorgt hat? (Doch nicht etwa nur um das System zu stützen?) Waren wir nicht nach dem Mauerfall alle davon überzeugt, dass staatlich zur Verfügung gestellte Einheitswaren die Menschen nicht glücklich machen? Dass trotz des hohen Werbeaufwandes und der Vertriebskosten für Waschmittel und Parfums, wir mit einem breiten Angebot doch glücklicher sind, als wenn uns nur graue Einheitspackung vorgesetzt wird? Wollen wir wirklich dorthin wieder zurück?

Was nun kommt, mag sehr ungewohnt und provokativ klingen, aber das Kostenproblem ist nicht das eigentliche Problem der Lebensversicherer, Banken oder Bausparkassen. Die niedrigen Zinsen machen ganze Branchen kaputt, die sich in einer freien Marktwirtschaft den Herausforderungen anpassen und problemlos weiter bestehen würden. Die Versicherer arbeiten schon immer hart an ihren Kosten, sehr oft zum Leidwesen ihrer Mitarbeiter und Vermittler. Der erste Computer in Deutschland wurde nicht beim Staat, in der Automobilindustrie oder bei den Banken aufgestellt, sondern bei einem Versicherer!

Die Corona-Krise macht uns leider dies überdeutlich bewusst: Der Staat hat seine Effizienz vernachlässigt, hier fehlt es am Einsatz der einfachsten technischen Instrumente! Wollen wir uns auf dessen Lösungen wirklich verlassen?

Aufklärung über die Auswirkungen des Niedrigzins für unsere Kunden

Das mag für unsere gegenüber der Politik oft eher „geduckt“ vorgehende Branche ungewöhnlich aggressiv klingen: Warum klären wir unsere Kunden nicht darüber auf, welche Zusammenhänge zwischen Kapitalmarktzins, Garantiezins und Überschussbeteiligung bestehen? Welche Größenordnungen die entgangenen Erträge eines Kunden haben, weil die EZB durch ihre Negativzinsen für Bankeinlagen und Käufe am Kapitalmarkt den Markt aushebelt? Hierauf könnte man zum Beispiel kostengünstig einmal jährlich auf der Benachrichtigung über die Überschussbeteiligung hinweisen! Wenn wir unsere Kunden unter Beachtung ihrer Interessen beraten wollen, gehören diese Zusammenhänge mit dazu! Vielleicht käme es dann doch zu der einen oder anderen Anfrage von Kunden bei Regierenden und Parteien.

Wenn wir schon am Konstruieren sind, stellt sich die Frage, warum denn nur die anderen Branchen nach Subventionen rufen? Wer sammelt denn bei seinen Kunden das Geld ein, welches es den Staaten erlaubt, sich günstig zu finanzieren und damit die Staatshaushalte zu entlasten? Warum fließen denn nicht Teile der Ersparnisse wieder an die Kunden zurück? Diese haben unter Verzicht auf kurzfristigen Konsum die Mittel angespart und wollen nun eine entsprechende Belohnung für den Verzicht!

Hier müsste die Branche für ihre Kunden initiativ werden. Dies umso mehr, als die Versicherer durch die Solvency II-Gesetzgebung indirekt dazu aufgefordert beziehungsweise gezwungen werden, in Staatsanleihen zu investieren! Sie müssen für Staatsanleihen keine Eigenmittel stellen. Wenn sie für ihre Kunden eine bessere – also nicht negative – Verzinsung erwirtschaften wollen, müssen sie teilweise erhebliche Mittel (zum Beispiel bei Aktien und Immobilien) als Eigenkapital bereitstellen. Das Eigenkapital muss selbstverständlich auch verzinst werden, was Kosten bedeutet!

Rentenreformen sind unabdingbar

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Rente reformiert werden muss und unsere Branche ist aufgerufen, hier aktiv mitzudenken.

Es ist beispielsweise sehr bedauerlich, dass die Politik sehenden Auges eine von ihr initiierte und sehr erfolgreiche Form der ergänzenden Altersvorsorge zu Grunde gehen lässt. Die Riesterrente leistet einen wichtigen sozialpolitischen Beitrag. Mit dem neuen Höchstrechnungszins von 0,25 Prozent kann die Brutto-Beitragsgarantie jedoch nicht mehr dargestellt werden. Hier sind Veränderungen notwendig, wie beispielsweise die Senkung der Garantie auf ein Niveau von 70 Prozent oder die Erhöhung der Zulagen, was durch die Politik blockiert wird. Aus diesem Grund wird es Riester voraussichtlich ab dem 01. Januar 2022 in dieser Form nicht mehr geben.

Warum Reformen notwendig sind und wir das Vertrauen unserer Kunden zurückgewinnen müssen, lesen Sie in Kürze in Teil drei.

Titelbild: © Prof. Dr. Hartmut Nickel-Waninger, Martin Gräfer/die Bayerische

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Autor

NewFinance Redaktion
NewFinance Redaktionhttps://www.newfinance.de
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