Zukunftsforscher Matthias Horx: „Corona war ein ethisches Upgrade“

Die Corona-Pandemie hat das Weltgeschehen fest im Griff – und unser Leben auf den Kopf gestellt. Sie stellt uns als Gesellschaft vor die Frage, wie wir in Zukunft mit Herausforderungen wie dieser zurechtkommen werden.

Können wir Lehren aus der Corona-Pandemie ziehen, um uns besser gegen weitere Krisen wie den Klimawandel oder Rohstoffmangel zu wappnen? Mit anderen Worten: Kann eine Erfahrung wie die Corona-Krise die Gesellschaft zum Umdenken bewegen?

Wie die Zukunft nach Corona aussehen könnte

Wir haben mit dem Zukunftsforscher Matthias Horx gesprochen, der sich in seinem Buch „Die Zukunft nach Corona: Wie eine Krise die Gesellschaft, unser Denken und unser Handeln verändert“ mit dem Gedanken auseinandergesetzt hat.

Redaktion: Herr Horx, nach über einem Jahr Corona-Pandemie macht sich eine gewisse „Pandemie-Müdigkeit“ breit. Wie ergeht es Ihnen gerade?

Matthias Horx: Ich finde, gerade macht sich etwas anderes breit, nämlich Erleichterung. Krisen wie die Corona-Pandemie durchlaufen mehrere Phasen. Wir haben gerade die dritte Phase der Angst, Ungeduld und Bezichtigungen hinter uns gebracht. Nun fallen die Zahlen, während die Impfrate steigt. Die Hoffnung wächst, dass die Pandemie sich, zumindest in Europa, dem Ende zuneigt.

Redaktion: Sie haben vergangenes Jahr das Buch „Die Zukunft nach Corona: Wie eine Krise die Gesellschaft, unser Denken und unser Handeln verändert“ veröffentlicht. Nun, ein Jahr später, frage ich Sie: Wie hat diese Krise denn unsere Gesellschaft verändert?

Matthias Horx: Vieles ist in Bewegung geraten, und ich glaube, diese Bewegung ist erst der Anfang. Es ist wichtig, sich bei so einer Betrachtung nicht auf das Mediengetöse zu konzentrieren, sondern auf das, was in den tieferen Schichten der Gesellschaft passiert ist – es gibt zum Beispiel eine deutliche Werteverschiebung hin zu mehr Ökologie und Solidarität.

Die Pandemie ist ja ein Produkt der Verdichtung zwischen Mensch und Tierwelt, eine sogenannte Zoonose. Viele Menschen hat das nachdenklich gemacht. In der Wirtschaft und Politik gibt es einen regelrechten Zeitenwandel: Ich habe noch nie so viele Initiativen und aktuell Commitments zum Kampf gegen den Klimawandel und die endlich konsequente Reduzierung des CO2-Ausstoßes gesehen wie derzeit.

Redaktion: Welche Veränderungen beobachten Sie über den ökologischen Aspekt hinaus?

Matthias Horx: Es gibt eine massive Veränderung unserer Arbeitswelt. Die Kommunikationsstrukturen wandeln sich. Wahrnehmbar ist auch ein Machtshift zwischen Zivilgesellschaft, Organisationen und Staat. Gerade findet eine Überprüfung unserer Institutionen statt – zum Beispiel im Gesundheitswesen.

Redaktion: Wie kann das im Falle des Gesundheitswesens aussehen?

Matthias Horx: Im Gesundheitswesen muss es zu Veränderungen kommen und die Möglichkeiten dazu werden nun in der Gesellschaft diskutiert: Wie können die Institutionen effizienter arbeiten? Wie kann die Pharmaforschung schneller Impfstoffe herstellen? Wie können diese dann am besten allen Menschen zur Verfügung gestellt werden? Daneben verschärften sich Debatten um gesellschaftliche Solidarität. Es ist ja in der Krise offensichtlich geworden, wie sehr wir alle voneinander abhängig sind.

„Die Pandemie hat praktisch alle Branchen vor die grundsätzliche Frage gestellt, wie man in Zukunft ein Geschäftsmodell ohne das “Mehr und Billiger” entwickeln kann.”

Redaktion: Welche Lehren kann die Gesellschaft denn aus der Pandemie ziehen?

Matthias Horx: Dass sie ihre Fähigkeit zu echten Innovationsmöglichkeiten überprüfen sollte. Innovationsmöglichkeiten, die nicht nur ein MEHR, sondern ein BESSER ermöglichen. Die Pandemie hat praktisch alle Branchen vor die grundsätzliche Frage gestellt, wie man in Zukunft ein Geschäftsmodell ohne das “Mehr und Billiger” entwickeln kann: Die Flugindustrie sieht sich zum Beispiel damit konfrontiert, dass es viel weniger Business-Flüge geben wird.

Außerdem müssen die Entscheider sich damit auseinandersetzen, wie sie ihren CO2-Ausstoß verringern können. Vor der Krise konnte die Branche vor lauter Kraft kaum laufen und hat sich mit diesen eigentlich dringenden Fragen nicht so ernsthaft beschäftigt. Dasselbe gilt für den Tourismus, Stichwort “OVERtourism”. Oder für die Fleischindustrie. Corona hat hier sozusagen den Korken aus der Flasche gezogen.

„Corona war ja so etwas wie ein ethisches Upgrade, auch wenn wir das auf den ersten Blick nicht so wahrnehmen.”

Redaktion: Hat sich das Bewusstsein für andere Krisen wie den Klimawandel durch die Corona-Pandemie geändert?

Matthias Horx: Ja, das hat sie. Die Krise hat latente Trends verstärkt und zum Durchbruch gebracht. In der Politik und in der Wirtschaft geht es jetzt viel, viel mehr um Nachhaltigkeit und Ökologie. Auch in der Finanzindustrie findet eine Umschichtung von Portfoliogeldern auf grüne Technologien statt; die Nachfrage nach nachhaltigen Geldanlagen ist gestiegen. Große Konzerne haben sich auf teilweise radikale CO2-Reduzierungs-Strategien festgelegt.  Etwa Apple und IKEA wollen schon 2030 CO2-neutral sein.

Corona war ja so etwas wie ein ethisches Upgrade, auch wenn wir das auf den ersten Blick nicht so wahrnehmen: Die Weltgemeinschaft hat sich beinahe ausnahmslos dazu entschlossen, die Wirtschaft zumindest teilweise lahm zu legen, um ältere Menschen zu schützen. Das ist historisch radikal neu. Pandemien gab es schon immer, aber eine solche Anstrengung, die Bevölkerung zu schützen, wurde bisher nicht unternommen. Globale Kooperationsformen wie die WHO und UNO standen deshalb zwar in der Kritik, werden aber in Zukunft zwangsläufig an Bedeutung gewinnen.

Redaktion: Manche Experten befürchten, dass nach dem Ende der Corona-Pandemie viele Menschen verpasste Fernreisen und viele Unternehmen verpasste Produktionen nachholen – und die Umwelt wieder genauso stark belastet wird wie zuvor. Wie schätzen Sie das ein?

Matthias Horx: Nachholbedürfnisse gibt es sicher. Aber man darf kurzfristige Reflexe nicht mit langfristigen Trends verwechseln. In diesem Jahrzehnt wird sehr wahrscheinlich der weltweite Gipfel der CO2-Emissionen erreicht werden, und dann werden die Zahlen fallen. Das ist dann so ähnlich wie jetzt, wo in den meisten Ländern die Infektionsraten fallen: Aus dem düsteren Fatalismus wird dann wieder Zukunfts-Hoffnung.

Redaktion: Sie haben geschrieben: „Wenn wir nach der Krise glauben, genau an dem Punkt weitermachen zu können, an dem wir aufgehört haben, dann war es keine Krise.“ Was meinen Sie damit?

Matthias Horx: Eine echte Krise ist existenziell, sie stellt uns in unseren Selbstverständlichkeiten in Frage. Und darauf müssen wir reagieren, als Individuen, als Gesellschaft, als Unternehmen. Corona hat viele Menschen dazu gebracht, über ihr Leben nachzudenken, was ihnen wichtig ist, was sie ändern wollen. Es könnte sein, dass wir darauf in einigen Jahren als eine Art heilsamen Schock zurückblicken werden.

Titelbild: ©Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher (www.horx.com), Foto: Klaus Vyhnalek (www.vyhnalek.com)

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