Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung sind in Deutschland 21 Prozent der Frauen im Rentenalter armutsgefährdet, verglichen mit 16 Prozent der Männer. Zahlen die widerspiegeln, dass sich noch zu viele Frauen auf den Mann als Altersvorsorge verlassen oder aber auch, verlassen müssen. Dank veränderter Erwerbsbiografien von Frauen, die oft von Kindererziehung und Teilzeitarbeit geprägt sind, beträgt die Rentenlücke zwischen Frauen und Männern durchschnittlich 30 bis 40 Prozent. Hinzu kommt eine nicht unwesentliche „Gender-Pay-Gap“.
Mit Ute Thoma, Leiterin Betriebliche Vorsorge Vertrieb sowie Leitung Geschäftsfeld Unternehmensvorsorgewelt die Bayerische, haben wir darüber gesprochen, ob auch strukturelle Herausforderungen innerhalb der Versicherungsbranche entsprechende Zahlen mitverantworten. Sie beleuchtet die bestehenden Herausforderungen in der Beratung sowie bereits erzielte Fortschritte. Dabei zeigt sie auch konkrete Verbesserungsansätze auf, deren Umsetzung zu neuen Maßstäben in der Beratung und Unterstützung von Frauen führt.
Redaktion: Frau Thoma, wie hat sich die Beratung von Frauen in der Versicherungsbranche in den letzten Jahren entwickelt? Wo liegen heutige Herausforderungen gegenüber früher?
Ute Thoma: Das Bewusstsein für den erhöhten Bedarf an zusätzlicher Altersvorsorge für Frauen ist gewachsen. Den Begriff Gender-Pension-Gap gibt es noch gar nicht so lange und damit auch nicht das Bewusstsein für diese Herausforderung. Selbst bei Beraterinnen und Beratern sind diese Erkenntnisse und die Gründe noch nicht so lange in das Bewusstsein gerückt.
Frauen haben im Schnitt eine um 30 bis 40 Prozent schlechtere Absicherung im Alter als Männer.
Das hängt an den geänderten Erwerbsbiografien bei Frauen, wenn diese Mütter werden und immer noch überwiegend die Care-Arbeit übernehmen und dann in Teilzeit wieder in das Berufsleben einsteigen – und das meistens, bis die Kinder erwachsen sind.
Redaktion: Glauben Sie, dass die Versicherungsbranche ein strukturelles Problem hat, das dazu geführt hat, dass Frauen schlechter oder gar nicht beraten wurden? Woran könnte das liegen?
Ute Thoma: Wir haben in der Versicherungsbranche – insbesondere im Vertrieb – einen sehr hohen Männeranteil. Bei uns selber liegt dieser in unserem Exklusivvertrieb bei 80:20. Die letzten Jahre konnte ich aber beobachten, dass es zunehmend auch tolle junge Frauen gibt, die sich bewusst für eine Aufgabe im Vertrieb entscheiden. Vor 32 Jahren war ich als Maklerbetreuerin in der Branche noch ein Novum. Wir werden im Vertrieb aber die nächsten Jahre noch mehr Frauen brauchen, um die persönliche Beratung aufrechterhalten zu können. Den Anteil an Männern wird es schlichtweg demographisch nicht mehr geben.
Redaktion: Welche spezifischen Faktoren innerhalb der Branche haben dazu geführt, dass Frauen in der Vergangenheit möglicherweise nicht die angemessene Beratung erhalten haben? Muss sich die Branche in gewisser Weise „den Schuh anziehen“, dass auch sie für eine schlechtere Altersvorsorge der Frau mitverantwortlich ist?
Ute Thoma: Es ist ein gesellschaftliches Problem. Aus dem Arbeitseinkommen wird die Altersversorgung finanziert. So ist unser Rentensystem in Deutschland definiert. Darum glauben Frauen sehr oft, dass sie für ihre eigene Altersversorgung kein Geld haben. Ebenso hört man immer wieder von Frauen, dass sie in Teilzeit oft nur für die Kita arbeiten. Das ist der falsche Blickwinkel.
Wenn Kinder da sind, muss das Familieneinkommen herangezogen werden – eben auch für die Aufstockung der Altersversorgung der Frau.
Ebenso ist es bei Teilzeitarbeitenden nicht ausreichend die Versorgungslücke mit dem Nettoeinkommen aus der Teilzeitarbeit zu ermitteln. Es kommt dann eben nur eine Teilzeitrente raus. Und diese ist bei weitem nicht auskömmlich.
Redaktion: Welche besonderen Bedürfnisse und Anliegen haben Frauen in Bezug auf Vorsorge und welche sollten bei der Beratung besonders berücksichtigt werden?
Ute Thoma: Wir müssen uns auf die Kenntnisse und Erfahrungen der Frauen einstellen und diese dort abholen. Eine einfache, bildliche Sprache ist hier sinnvoll und Empathie auf Seiten der Beraterin, des Beraters. Eine Erfahrung ist, dass Frauen für die Entscheidung und Erstberatung etwas mehr Zeit brauchen, dann aber im Laufe der Zusammenarbeit deutlich länger als Kundin treu bleiben. Die Investition lohnt sich also.
Redaktion: Wie kann die Versicherungsbranche besser auf die Bedürfnisse von Frauen eingehen und sicherstellen, dass sie eine adäquate Beratung erhalten? Was hat sich bereits verbessert oder lässt sich sogar als fortschrittliche Herangehensweise bezeichnen?
Ute Thoma: Indem wir diese Thematik gezielt im Vertrieb schulen und auch mehr weibliche Berater für uns gewinnen und uns auch danach ausrichten. Ich halte eine Beratungstätigkeit für Frauen im Versicherungsvertrieb für unheimlich sinnstiftend. Zudem hat die Branche sich in den letzten fünf Jahren sehr gedreht, was Digitalisierung und Präsenzkultur angeht.
Wir haben in diesem Jahr bei der Bayerischen mit unserer Edition F gestartet. Dort haben wir zwei Tage für Beraterinnen aus unserem Exklusivvertrieb und zwei Tage für Maklerinnen ein Format geschaffen, das seinesgleichen in der Branche bisher sucht. Neben fachlicher Tiefe wurden auch die persönliche Weiterentwicklung als Unternehmerin und der Netzwerkgedanke unter Frauen in den Mittelpunkt gestellt.
Redaktion: Welche Rolle spielen Vermittlerinnen und Vermittler dabei, sicherzustellen, dass Frauen die richtigen Entscheidungen für ihre Vorsorge treffen können?
Ute Thoma: Das Thema einfach ansprechen und offen beraten. Weg von zu vielen Zahlen und Textdokumenten hin zu einer verständlichen bildlichen Sprache und Beispielen. Die Kundin mitnehmen und auf Augenhöhe kommunizieren und: Auf keinen Fall oberlehrerhaft dozieren.
Redaktion: Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um das Finanzwissen von Frauen zu stärken und sie besser auf die Planung ihrer Altersvorsorge vorzubereiten?
Ute Thoma: Wir entwickeln aus unserer Edition F heraus gezielte Formate zur Ansprache und Sensibilisierung von jungen Frauen in Unternehmen über den Arbeitgeber als Benefit oder auf privater persönlicher Ebene.
Redaktion: Wie sehen Sie die Zukunft der Beratung von Frauen in der Versicherungsbranche? Welche Veränderungen erwarten Sie in den kommenden Jahren?
Ute Thoma: Teilzeitkräfte sind die stille Reserve im Arbeitsmarkt und werden die nächsten Jahre auch durch Arbeitgeber noch stärker umworben werden – auch mit attraktiven bAV-Modellen. Dazu gehört auch die §100-Regelung, die ja gerade mit den Entwürfen zum BRSG 2.0 gestärkt werden. Es kann nicht sein, dass in einer guten bAV-Beratung der Arbeitgeber über diese Möglichkeiten und auch die zusätzlichen attraktiven Förderungen nicht informiert ist.
Titelbild: © Ute Thoma